PORTRÄT: Germaine Paulus

Foto: Germaine Paulus

Ohne Leben keine Kunst

Als Künstlerin ist Germaine Paulus nicht nur auf den Austausch mit ihrem Publikum angewiesen. Sie braucht Austausch und Kommunikation in jeglicher Form, um Kunst erschaffen zu können. Doch das ist kaum möglich in Zeiten einer Pandemie.


Der Text auf ihrer Webseite ist 23 Zeilen lang. Er handelt von Neugier oder auch Wissbegier, dem Drang, durch Löcher in Zäunen zu spähen und von den Verlockungen des Verborgenen. „Ich erzähle Ihnen gern, was ich tue, was ich getan habe … Wenn Sie Zeit haben, sogar ab meinen wilden Jahren im Kindergarten.“

Wer etwas über sie erfahren möchte, soll einfach anrufen. 


„Willkommen bei Frau Paulus“

Die Fenster, Fassaden und Dächer der Stadt sind nicht nur sinnbildlich der Hintergrund und das Bühnenbild für Germaine Paulus. Sie sitzt in einem Sessel vor dem Fenster ihrer Dachgeschosswohnung in Saarbrücken. 

Es ist kühl, auch drinnen, denn das Fenster hinter ihr ist geöffnet. Auf einem Tisch neben dem Sessel steht eine Tasse Kaffee. Kurz verschwindet das Gesicht von Frau Paulus hinter dem Dampf des heißen Getränks, als sie daran nippt. 

Die Frau, in Schwarz und Grau gekleidet, erinnert an eine Grande Dame aus den 1920er Jahren. Ein tiefschwarzer Bob umrahmt das blasse Gesicht. Ein Kontrast, den nur noch die ebenfalls schwarz umrandeten, hellblauen Augen übertreffen können.


„Du bist still geworden – Saarbrücken, My Love“


Die Stadt ist ihre Inspiration, ein Quell für Kurioses, Bemerkenswertes und das pure Leben. Es sei denn, eine Pandemie hält die Welt im Griff und lässt diese Quelle versiegen. 

Sie ist Autorin, Journalistin, Verlegerin und noch vieles mehr. Die Kunst war schon ihr ganzes Leben lang ihr ständiger Begleiter. Als Kind probierte sie sich an verschiedenen Instrumenten aus, sang, malte und begann als Jugendliche mit dem Schreiben. 

Nach dem Design-Studium führte ihr Weg sie in die Werbung und sie blieb – auf Anraten ihres Professors – beim geschriebenen Wort, denn sie ist in erster Linie eine Textkünstlerin. 

Drei Romane hat sie bereits veröffentlicht, der vierte ist in Arbeit. Doch es ist gerade nicht leicht, weil die Stadt und alles um sie herum so still ist. 

Ihre Geschichten leben vom Zwischenmenschlichen. Die Essenz ihrer Kriminalromane, die sie im eigenen Verlag veröffentlich, sind Beziehungen, Dramen und menschliche Abgründe – eben das, was im Verborgenen schlummert.


„Der Dandy ist tot. Es lebe der Dandy!“

Es war Anfang des Jahres 2018 in Brighton, als Germaine Paulus und ihr Mann Tom einen Verlag gründeten. The Dandy is Dead. Hier veröffentlicht sie nicht nur ihre eigenen Sex- and Crime-Romane, sondern gibt auch die Basement Tales heraus – eine Heftreihe mit schrägen, brutalen oder auch surrealen Kurzgeschichten verschiedener Autoren und Autorinnen. Die Reihe ist eine Hommage an die Schundromane und Groschenhefte, die Pulp-Fiction vergangener Zeiten. 


Frau Paulus war schon immer fasziniert von den Dingen, die im Schatten liegen und schlummern, von den Grautönen des Lebens. So zieht sie selbst immer wieder seltsame Situationen an und schöpft daraus die Inspiration für ihr Schreiben. Wie auch ihre vorherigen ist der aktuelle Roman Ohnmacht ein dunkler, bitterer mit eher unterschwelliger als überzogener Brutalität. 


„Ohne Präsenz läuft es nicht.“

Was vor vier Jahren vielversprechend anfing, fand mit dem Beginn der Pandemie ein vorerst abruptes Ende. Große Hoffnungen lagen auf dem Roman Homo femininus von Lina Thiede, der am 1. April 2020 im Verlag The Dandy is Dead erschien. Doch sämtliche Veranstaltungen, die Verlag und Autorin mit dem Buch geplant hatten, fielen aufgrund der Pandemie aus. Das war nur die erste bittere Erfahrung und der Beginn einer schwierigen Zeit, wie für so viele Künstler und Kleinverlage. 


Frau Paulus liebt die Begegnung mit dem Publikum. Ein Veranstaltungskonzept für Live-Auftritte ist aber nicht nur deshalb fester Bestandteil der Vertriebsstruktur des Verlages. In die Regale der Buchhandlungen zu kommen, ist schwierig, denn ihre Bücher passen oft nicht ins Sortiment.


Neben dem Austausch mit dem Publikum werden bei ihren Live-Veranstaltungen auch jede Menge Bücher verkauft. Haben die Käufer Gefallen an den Büchern gefunden, bestellen sie noch mehr über die Verlagswebseite. 


Der zweite Lockdown Ende des Jahres 2020 war schlimm für sie. Er lähmte sie in ihrer Kreativität und ihrer Arbeit. Eine Release-Party für ihren aktuellen Roman war für Dezember in einem kleinen Kino in Saarbrücken geplant. Am Ende wurde daraus ein Live-Stream. „Es lief erstaunlich gut und hat Spaß gemacht.“, erinnert sie sich. Das große Aber nach diesem Satz schluckt sie runter und lächelt etwas gequält. 


„Männer mit Schal finde ich super.“

Die Wohnung von Germaine Paulus ist voller Kunst: Skulpturen, Bilder, Filme und Bücher. Über Kunst kann sie stundenlang reden und gerät bei Namen wie Peter Cushing, Terry Pratchett oder Clive Barker ins Schwärmen. 


Sie liebt Horror, doch eher mit dem Fokus auf Atmosphäre statt Brutalität und sie mag Realismus mit einem Hauch von Außergewöhnlichem. So beschreibt sie ihre Präfenzen. Auf genau diese stößt man auch in ihren Romanen.


Das Außergewöhnliche begegnet ihr normalerweise auf der Straße. Sie erzählt von einem Mann mit blauer Clownsnase, der ihr bei einem der wenigen Café-Besuche dieses Jahres in der Innenstadt auf einem Fahrrad entgegenkam. Letztendlich stellte sich die Clownsnase bei näherer Betrachtung als großes Nasenpiercing heraus, das den blauen Himmel reflektierte. 


„Und das vermisse ich.“

Ihr Lachen, während sie diese und weitere kuriose Geschichten aus dem Leben erzählt, ist laut und kommt von ganz tief drinnen. Ihre Stimme, in einen Moment noch kräftig und hell, wirkt plötzlich gedämpft, als sie von leeren Straßen und Plätzen spricht, die sie meidet, solange sie noch ausgestorben sind. 


Es tut ihr weh, ihre Stadt, von deren Leben sie sonst zehrt und die sie manchmal regelreicht körperlich spürt, in einem Zustand der Stille und Reglosigkeit zu sehen. 


Doch die Pandemie lässt nicht locker. Die für Dezember 2021 geplante Release-Party für den neuen Band der Basement-Tales musste nun auch verschoben werden – auf Februar 2022. 


„Krönchen richten und weiter“

Vor wenigen Wochen startete Frau Paulus gemeinsam mit ihrem Freund und Kollegen Christian von Aster ein neues gemeinsames Projekt, ein pandemietaugliches. Es ist der Podcast: „Thema verfehlt – zu zweit daneben“. Hier philosophieren die beiden über von ihren Zuhörern eingesandte Wörter und geben dabei tiefe Einblicke in ihre persönliche Gedankenwelt. 


Germaine Paulus, die ausschließlich nachts schreibt, arbeitet weiter an ihrem vierten Roman. Inspiration gibt es schließlich auch im lokalen Impfzentrum. Der E-Book-Verkauf des letzten Romans startete erfreulich und Weihnachten 2021 war besser als 2020 ­– immerhin.


Die 23 Zeilen auf Ihrer Webseite sind eine Aufforderung, hinter den Zaun zu spähen. Was man dort entdeckt, ist weder verboten noch verborgen – es ist die kreative, unvollkommene, ein wenig schräge und immer spannende Welt von Germaine Paulus.

(c) by Maja Simunic, 2021

Foto: Germaine Paulus